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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert: Rezension zum Buch

Endlich wieder ein Buch, das mich rundherum begeistert hat! Bisher habe ich das Genre Krimi eher gemieden, aber der Klappentext von Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert hat schon vor längerer Zeit mein Interesse geweckt. Nachdem die Mini-Serie 2017 dann einen Hype um das Buch von Joel Dicker ausgelöst hatte, kam ich definitiv nicht mehr daran vorbei. Auch wenn es dann noch etwas gebraucht hat, bis ich die Geschichte um Harry Quebert endlich gelesen habe, bin ich sehr froh darum! Es ist ein Buch, das mich nach langer Zeit schriftstellerisch mal wieder richtig beeindruckt hat. Lest in meiner Rezension zu Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert, warum.


Steckbrief

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Autor: Joel Dicker

Übersetzerin: Carina von Enzenberg (aus dem Französischen)

Seiten: 724 (Taschenbuch)

Verlag: Piper

Erscheinungstermin: 13.08.2013

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Buch Rezension

Rezension zum Buch

Aufbau und Handlung

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert wird hauptsächlich aus der Ich-Perspektive des Protagonisten Marcus Goldman erzählt. Er ist ein Erfolgsautor, dessen Debutroman die Erwartungen seines Verlags und der Leserschaft so hochgeschraubt hat, dass ihm kein zweites Buch gelingen will. Seine unauflösbare Schreibblockade bringt ihn schließlich dazu, Kontakt zu seinem ehemaligen Freund und Mentor, dem Schriftsteller und Dozenten Harry Quebert, aufzunehmen. Dieser lädt ihn zu sich nach Aurora ein, um durch den Ortswechsel in das beschauliche Städtchen neue Inspiration zu sammeln – nichtsahnend, was schon Tage später über sie hereinbrechen wird.

Denn plötzlich wird 33 Jahre nach ihrem spurlosen Verschwinden die Leiche der 15-jährigen Nola auf dem Grundstück von Harry Quebert gefunden. Als dieser auch noch eine einstige Affäre mit der deutlich jüngeren Nola zugibt, scheint die Lage klar zu sein und Harry gelangt in Untersuchungshaft. Aufgrund des Mordverdachts droht ihm die Todesstrafe. An dieser Stelle beginnt ein zweiter Handlungsstrang, denn um seinen engen Freund und sein Vorbild zu retten, begibt Marcus sich selbst auf Spurensuche. Er lässt dabei nichts unversucht und spricht mit unzähligen Bewohnern Auroras, Bekannten und Verdächtigen. Das inspiriert ihn: Während er den Fall um Nola und Harry Quebert aufzulösen versucht, entsteht parallel endlich sein zweiter Roman.

„Lernen Sie Ihre Niederlagen zu lieben, Marcus. Denn an ihnen werden Sie wachsen. Es werden Ihre Niederlagen sein, die Ihre Siege so köstlich machen.“

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert ist ein unglaublich vielschichtiges und intelligent konstruiertes Buch. Die Erzählweise ist durch die verschiedenen Ebenen recht komplex: In zahlreichen Rückblenden in Marcus Leben erfahren wir mehr über die Freundschaft zwischen den beiden Schriftstellern und lernen auch Harry besser kennen – nicht unerheblich für die Klärung des Falls! In der Gegenwart begleiten wir Marcus Goldman bei seinen eigenen Ermittlungen im Städtchen Aurora und versuchen gemeinsam mit ihm, die gesammelten Puzzleteile zusammenzusetzen. Sobald wieder ein Stückchen (vermeintliche) Wahrheit gelüftet wurde oder ein anderes Ereignis die Situation beeinflusst, erfahren wir in weiteren Rückblenden mehr darüber. Diese werden von einem auktorialen Erzähler beschrieben. So wissen wir am Ende alles über die Beziehung zwischen Nola und Harry, aber auch alles über die Leben einiger Bewohner von Aurora.

Obwohl die Ermittlungen mit Mittelpunkt stehen und viel Zeit und Raum einnehmen, schafft Dicker es, auch noch Marcus Vergangenheit und die Entstehung seines neuen Romans zu beleuchten – ohne dass alles zu viel wird! Tatsächlich ist die Idee vom Buch im Buch wirklich genial, wirft aber gleichzeitig auch ein neues – nicht ganz so positives – Licht auf die Verlagsbranche. Herausragend waren für mich die Schreibtipps, die Harry Quebert an Marcus weitergibt. Dicker hält sich selbst an jeden einzelnen davon und – siehe da – die Genialität von Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert gibt ihm in jedem Punkt recht! Diese Einschübe beweisen nur, dass Dicker sein Handwerk komplett verstanden hat.

„Ein gutes Buch lässt sich nicht allein an seinen letzten Worten bemessen, sondern an der Gesamtwirkung aller vorausgegangenen Worte, Marcus. (…) Ein gutes Buch, Marcus, ist ein Buch, bei dem man bedauert, dass man es ausgelesen hat.“

Obwohl man als Leser bei Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert unermüdlich in der Zeit springt und sehr viele Charaktere involviert sind, verliert man den Überblick nicht – im Gegenteil! Das Buch entwickelt sich schnell zu einem Pageturner und man ermittelt quasi Seite an Seite mit Marcus Goldman – und das bis zum Schluss. Ich habe oft das „Problem“, dass ich Handlungen schnell durchschaue. Das ist bei diesem Buch definitiv nicht so. Dicker schafft es, dass die Ermittlungen des Falls Harry Quebert bis zum Ende undurchschaubar bleiben, da sich viele von Goldmans Nachforschungen als Sackgassen erweisen oder weitere Fragen aufwerfen. Hier ist die Ich-Perspektive hervorragend gewählt: Übersieht Marcus etwas oder interpretiert er etwas falsch, tun wir es als Leser ebenso. Doch obwohl sich die Ermittlungsfälle aneinanderreihen, kommt bei über 700 Seiten keine Langweile auf. Denn neben komplexen Handlungsverläufen kann Dicker noch etwas: Plotttwists! Wann immer Goldman scheinbar auf eine heiße Spur kommt, wendet sich das Blatt. Der allergrößte Twists erfolgt allerdings erst gegen Ende und sorgt dafür, dass innerhalb der letzten 100 Seiten die vorherigen 600 Seiten komplett auf links gedreht werden. Das muss man erstmal hinbekommen!


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Der Schreibstil

Wenn du bis hierhin gelesen hast, dürfte es keine Überraschung für dich sein, dass Joel Dicker mich bereits mit seinem Handlungsaufbau komplett überzeugt hat. Die gelungene Konstruktion auf mehreren Zeitebenen zeigt sein Talent als Schriftsteller – doch sein Schreibstil setzt dem Ganzen meiner Meinung nach die Krone auf. Schon nach den ersten Kapiteln habe ich innerlich meinen Hut vor Dickers Wortwahl und Ausdrucksweise gezogen. Für mich ist hier nicht mehr von Schreibstil, sondern von Schreibkunst die Rede. An dieser Stelle muss man ausdrücklich die gute Übersetzung von Carina von Enzenberg hervorheben, die Dicker im Deutschen glänzen lässt.

Aufgrund der herausragenden Formulierungen beeindruckt Dicker auch mit vielen kleinen Weisheiten, die er Harry Quebert in den Mund legt. Diese Zitate und viele andere Sätze, die durch ihre schöne Konstruktion auffielen, bleiben auf jeden Fall im Gedächtnis.

Wer nun Angst vor einem anspruchsvollen Schreibstil bekommt, der irrt. Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert lässt sich nämlich trotzdem flüssig und leicht lesen!

„So ist das Leben, Goldman. Niemand ist frei. Wenn die Menschen frei wären, wären sie glücklich. Kennen Sie viele Menschen, die wirklich glücklich sind?

Die Charaktere

Die Anzahl an Charakteren, denen wir in Aurora begegnen ist groß. Alle (Haupt-)Verdächtigen lernen wir im Laufe des Buchs durch ihre Mithilfe in der Gegenwart oder durch Rückblenden näher kennen. Ist ihr Auftritt auch noch so kurz, sind alle sehr gut ausgearbeitet und individuell. Am Ende glaubt man, das Städtchen existiere wirklich! Zentral sind aber Marcus Goldman, Harry Quebert und seine verstorbene Geliebte, Nola. Auf 700 Seiten erfahren wir fast alles über deren Leben und die Beziehungen zwischen ihnen.

Marcus Goldman lernen wir als sehr selbstbewussten und entschlossenen jungen Mann kennen, der seinem Freund und Mentor gegenüber unerschütterlich loyal bleibt – auch als sich die Hinweise gegen ihn immer mehr verdichten. Er trifft einige Entscheidungen, die einen die Stirn runzeln lassen, doch sie passen immer zu seinem Charakter.

„In meinem Leben gab es nur Harry, und seltsamerweise stellte ich mir überhaupt nicht die Frage, ob er schuldig war oder nicht: Die Antwort hätte ohnehin nichts geändert. (…] Er ist ein Mensch, und Menschen haben ihre Dämonen. Jeder von uns. Die Frage ist nur, wie viel man diesen Dämonen durchgehen lässt.“

Auch über Harry Quebert erfahren wir vieles und doch bleibt man ihm gegenüber etwas skeptisch. Ist er wirklich sympathisch? Kann man ihm trauen? Man weiß es nicht, aber das trägt auch deutlich zur Spannung im Buch bei.

Eines schafft Dicker jedenfalls: Durch die Nacherzählung von Harrys und Nolas geheimer Affäre flechtet sich auch noch eine Liebesgeschichte in die komplexe Handlung ein. Der große Altersunterschied zwischen der 15-jährigen Schülerin und dem 34-jährigen Schriftsteller stößt in Aurora auf heftige Ablehnung. Je mehr man über die beiden als Duo erfährt, desto mehr Verständnis bringt man als Leser jedoch dafür auf, bis man schließlich sogar mit den beiden mitleidet. Ein wichtiges Thema!

Nola selbst bleibt zuerst etwas blass. Sie ist nicht richtig greifbar, was jedoch die Ermittlungen und Rückblenden umso spannender macht. Je mehr Geheimnisse gelüftet werden, desto besser lernen wir sie kennen. Der große Twist am Ende erklärt schließlich alles…


Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert ist eines der besten Bücher, das ich je gelesen habe. Handlung und Schreibstil haben mich einzeln und in ihrer Kombination mehr als überzeugt. Die Spannung ist unglaublich hoch und es macht einfach nur Spaß, das Buch zu lesen und mitzurätseln. Auch wenn ihr keine Krimis mögt, ist es auf jeden Fall einen Blick ins Buch wert. Es ist ein kriminalistischer Unterhaltungsroman, der ab den ersten Kapiteln in seinen Bann zieht und 700 Seiten wie im Flug vergehen lässt. Nicht umsonst hat das Buch auch schon mehrere Preise abgeräumt!

Wenn ihr Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert lest, schreibt mir unbedingt über meinen Buchblog @eulenmaerchen!

Viel Spaß beim Lesen!